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Wenn die Vergangenheit mit all ihrer Herrlichkeit und all ihrem Leid zurückkehrt, wissen wir nicht, ob wir sie annehmen oder vor ihr fliehen sollen.
Duncan Idaho,
Bekenntnisse nicht nur eines Mentaten
Die zwei Axolotl-Tanks in der medizinischen Abteilung des Nicht-Schiffes waren einst Bene-Gesserit-Frauen gewesen. Freiwillige. Jetzt war von diesen Frauen nichts mehr übrig als unförmige Fleischklumpen mit schlaffen Gliedmaßen und völlig entleerten Hirnen. Sie waren nur noch Gebärmütter, biologische Fabriken für die Gewürzherstellung.
Teg konnte sie nicht ansehen, ohne sich niedergeschlagen zu fühlen. Die Luft roch nach Desinfektionsmitteln, medizinischen Chemikalien und bitterem Zimt.
Im Akoluthen-Handbuch stand: »Ein klar definiertes Bedürfnis führt zu einer Lösung.« In den ersten Jahren ihrer Odyssee hatten die Tleilaxu-Meister erkannt, wie sich mit Axolotl-Tanks Melange herstellen ließ. Da sie wussten, wie viel auf dem Spiel stand, hatten sich zwei Flüchtlingsfrauen freiwillig gemeldet. Die Bene Gesserit taten stets, was notwendig war, selbst wenn das Opfer so weit ging.
Jahre zuvor auf Ordensburg hatte Mutter Oberin Odrade für die Ghola-Experimente der Schwesternschaft die Erschaffung von Axolotl-Tanks gestattet. Man hatte Freiwillige gefunden, Frauen, die dem Orden nicht besser zu dienen vermochten. Vierzehn Jahre später war sein eigener neugeborener Körper aus einer dieser monströsen Gebärmaschinen hervorgegangen.
Die Bene Gesserit wissen, wie sie uns Opfer abverlangen können. Irgendwie schaffen sie es, dass wir es selber wollen. Teg hatte viele Feinde besiegt, hatte mit seiner taktischen Genialität für die Schwesternschaft einen Sieg nach dem anderen errungen; und sein Tod auf Rakis war das größtmögliche Opfer gewesen.
Teg betrachtete weiter die Axolotl-Tanks – diese Frauen. Diese Schwestern hatten ebenfalls ihr Leben hergegeben, wenn auch auf andere Art und Weise. Und dank Scytale und seiner Nullentropie-Kapsel brauchte Sheeana nun weitere Tanks.
Bei der Analyse des Inhalts der Kapsel hatten die Suk-Ärzte auch Gestaltwandlerzellen entdeckt, was den Tleilaxu-Meister sofort verdächtig machte. Scytale beharrte darauf, dass der Vorgang absolut beherrschbar war und man jene Individuen identifizieren und auswählen konnte, die man als Gholas neu erstehen lassen wollte. Da sein Leben zu Ende ging, hatte der kleine Meister seine ganze Verhandlungskraft eingebüßt. In einem schwachen Augenblick erklärte er, wie sich Gestaltwandlerzellen von anderen Zellen abscheiden ließen.
Dann bat er ein weiteres Mal darum, dass man ihm gestattete, einen Ghola von sich selbst zu erschaffen, bevor es zu spät war.
Nun ging Sheeana neben ihm in der medizinischen Abteilung auf und ab. Mit steifen Schultern und gesenktem Kopf sah sie zu Scytale hinüber. Der Tleilaxu-Meister hatte sich noch nicht an seine neugewonnene Freiheit gewöhnt. Er wirkte nervös, als würde er unter schweren Gewissensbissen leiden, weil er so viel offenbart hatte. Er hatte alles preisgegeben und damit auch alles aus der Hand gegeben.
»Drei weitere Tanks wären vonnöten«, sagte Scytale so beiläufig, als würde er über das Wetter sprechen. »Sonst dauert es zu lange, die gewünschte Ghola-Gruppe zu erschaffen, da für jeden neun Monate zur Reifung erforderlich sind.«
»Ich bin zuversichtlich, dass wir Freiwillige finden.« Sheeanas Stimme klang kalt.
»Wenn Sie endlich mit diesem Programm beginnen, muss mein Ghola der Erste sein.« Scytales Blick ging zwischen den bleichhäutigen Axolotl-Tanks hin und her, wie der eines Arztes, der im Labor Reagenzgläser inspizierte. »Ich brauche ihn am dringendsten.«
»Nein«, sagte Sheeana. »Zunächst müssen wir feststellen, ob Ihre Behauptungen zutreffen und diese Zellen tatsächlich von den Personen stammen, die Sie genannt haben.«
Mit finsterem Blick sah der kleinwüchsige Mann zu Teg hinüber, als würde er sich die Unterstützung eines Mannes erhoffen, für den Ehre und Loyalität das Höchste waren. »Sie wissen doch, dass die genetischen Daten bereits bestätigt wurden. Ihre Bibliothekare und Chromosomenanalytiker hatten monatelang Zeit, das Zellmaterial, das ich Ihnen geliefert habe, zu vergleichen und zu identifizieren.«
»Einfach nur die Zellen zu sichten und die ersten Kandidaten auszuwählen ist keine leichte Aufgabe.« Sheeana klang pragmatisch. Sämtliche identifizierte Zellen hatte man in der genetischen Bibliothek einzeln verwahrt und gesichert, damit sich niemand daran zu schaffen machen konnte. »Ihr Volk hat sich große Mühe mit diesen gestohlenen Zellen gemacht. Sie reichen zurück bis in die Zeit von Butlers Djihad.«
»Wir haben sie rechtmäßig erworben. Unser Volk hatte vielleicht kein Zuchtprogramm wie Ihres, aber wir haben es immerhin verstanden, die Atreides-Linie zu verfolgen. Uns war klar, dass große Ereignisse bevorstanden, dass Ihre langwierige Suche nach einem übermenschlichen Kwisatz Haderach aller Wahrscheinlichkeit nach um die Zeit von Muad'dib von Erfolg gekrönt sein würde.«
»Und wie sind Sie dann an all diese Zellen gelangt?«, fragte Teg.
»Jahrtausendelang waren es Tleilaxu-Arbeiter, die sich um die Toten gekümmert haben. Viele halten das für ein unreines, verachtetes Gewerbe, aber es eröffnete uns ungeahnte Möglichkeiten. Wenn ein Körper nicht vollkommen zerstört ist, ist es ganz einfach, ein paar Gewebeproben zu entnehmen.«
Mit seinen vierzehn Jahren war Teg immer noch schlaksig und dabei, ein hochgewachsener Mann zu werden. Die Stimme versagte ihm in unpassenden Momenten, obwohl die Gedanken und Erinnerungen in seinem Kopf einem alten Mann gehörten. Er sagte so leise, dass nur Sheeana es hören konnte: »Ich möchte gerne Paul Muad'dib und seiner Mutter, Lady Jessica, begegnen.«
»Das ist nur der Anfang dessen, was ich Ihnen zu bieten habe«, sagte Scytale und richtete seinen feindseligen Blick auf Sheeana. »Und Sie haben meinen Bedingungen zugestimmt, Ehrwürdige Mutter.«
»Sie werden Ihren Ghola bekommen. Aber ich lasse mich nicht zur Eile drängen.«
Der elfenhafte Mann biss sich mit seinen kleinen spitzen Zähnen auf die Lippe. »Die Uhr läuft ab. Ich brauche genügend Zeit, einen Scytale-Ghola zu erschaffen und aufzuziehen, damit ich seine Erinnerungen erwecken kann.«
Sheeana tat seinen Einwand mit einer Handbewegung ab. »Sie haben selbst gesagt, dass Ihnen noch mindestens zehn Jahre bleiben, wenn nicht gar fünfzehn. Sie werden die bestmögliche medizinische Versorgung erhalten. Unsere Bene-Gesserit-Ärzte werden Ihren Gesundheitszustand genau im Auge behalten. Der Rabbi ist ein Suk-Arzt im Ruhestand, falls Sie nicht von Frauen behandelt werden möchten. Und in der Zwischenzeit werden wir die neuen Zellen testen, die Sie uns angeboten haben.«
»Das ist es ja, weshalb Sie drei weitere Axolotl-Tanks brauchen! Der Konvertierungsprozess wird sich einige Monate lang hinziehen, und dann folgt das Einpflanzen des Embryos und die Reifezeit. Wir werden zahlreiche Tests durchführen müssen. Je früher wir ausreichend Gholas erschaffen, um Ihre Verdächtigungen zu entkräften, desto früher werden Sie einsehen, dass es der Wahrheit entspricht, was ich Ihnen erzählt habe.«
»Und desto früher haben Sie Ihren eigenen Ghola«, fügte Teg hinzu. Er starrte auf die beiden Axolotl-Tanks, bis er sich die zwei Frauen vorstellen konnte, die sich für den abscheulichen Verwandlungprozess hingegeben hatten, echte Frauen mit Herz und Verstand. Sie hatten ein Leben geführt, Träume gehegt, hatten Menschen geliebt, die sich um sie gekümmert hatten. Doch sobald die Schwesternschaft ihr Bedürfnis bekundet hatte, hatten sie sich ohne Zögern freiwillig gemeldet.
Teg wusste, dass Sheeana nicht mehr tun musste, als weiteren Bedarf anzumelden. Neue Freiwillige würden es als Ehre empfinden, Helden aus den legendären Zeiten von Dune zur Welt zu bringen.